Ecuador: Öl mehr Fluch als Segen

08.05.2006

Alfredo Palacio, Nachfolger des vor Jahresfrist gestürzten Präsidenten, hat sowohl das eigene Volk als auch die USA verprellt. Es geht um Öl und Freihandel.

Ulrich AchermannQuito (SN). Vor einem Jahr zwangen Volksunruhen und ein Zerwürfnis mit dem Parlament den ecuadorianischen Präsidenten Lucio Gutierrez zum Rücktritt.

Der Ex-Oberstleutnant hatte seine Wähler erst mit linker Rhetorik und populistischen Versprechen geködert, an der Macht aber schnell einen dem Weißen Haus und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) genehmen Kurs eingeschlagen. Interimistischer Nachfolger wurde Vize Alfredo Palacio, dessen Regierung, wenn überhaupt, mit mehr Glück als Verstand bis zu den Neuwahlen im Oktober durchhält.

In der Hauptstadt Quito auf 2800 Metern Seehöhe bestimmt ein kurioses Nebeneinander von tadellos gekleideten Bürokraten und Geschäftsleuten und Rucksacktouristen mit Sonnenhüten und umgehängten Wasserflaschen das Stadtbild. Reisebüros locken mit Ausflügen in das Naturparadies der Galapagos-Inseln, Klettertouren auf den Monte Chimborazo oder Exkursionen in die Dschungel-Lodges des Amazonasbeckens östlich der Anden. Ecuador hat viel zu bieten, und die Reisenden kommen in hellen Scharen.

Gleichwohl ist der Tourismus längst nicht der wichtigste Devisenbringer. An erster Stelle steht das Erdöl, an zweiter die Rücküberweisungen ausgewanderter Ecuadorianer, die im eigenen Land keine Jobs finden.

Der Sturz von Gutierrez hat die Lage beruhigt. Die täglichen Straßenproteste der Unzufriedenen sind abgeflaut. Nachfolger Alfredo Palacio ist ebenfalls unbeliebt, aber das Volk scheint auf die Neuwahlen im Oktober zu hoffen.

Selten hat ein lateinamerikanischer Präsident seine Möglichkeiten falscher eingeschätzt als der 67-jährige Herzspezialist.

Widerstand mit Hilfeder Armee unterdrückt Er, der keine eigene Partei, keine Kongressmehrheit und keine soziale Basis hat, wollte als großer Reformer in die Geschichte eingehen. Sieben Mal beauftragte Palacio den Kongress, eine neue Verfassung auszuarbeiten; sieben Mal ließen ihn die Abgeordneten ins Leere laufen.

Palacio ließ den Widerstand der Indio-Bevölkerung gegen ein Freihandelsabkommen mit den USA mit Hilfe der Armee unterdrücken und provozierte trotzdem einen diplomatischen Eklat: Die Amerikaner boykottieren die Schlussrunde der Verhandlungen, weil Palacio vom Kongress Vollmachten verlangte und bekam, die in Ecuador Öl fördernden US-Konzerne angesichts munter kletternder Rohöl-Preise stärker zur Kasse zu bitten.

Das Anliegen ist gerechtfertigt, die Hohen Ölpreise hatten bislang nur die Konzern-Kassen gefüllt, nicht aber die des Staates.

Nur war es nicht sonderlich geschickt, die Sache mitten in den Freihandelsgesprächen spruchreif zu machen.

Die Nachbarn Peru und Kolumbien, auch die schärfsten Konkurrenten bei exportfähigen Tropen- und Meeresfrüchten, haben ihre Abkommen mit den USA längst unter Dach und Fach.

Benzinpreissubventioniert Ecuador ist hinter Venezuela Lateinamerikas zweitwichtigstes Ölförderland. Den vom Staat mit den überwiegend amerikanischen Konzernen lausig ausgehandelten Verträgen liegt ein Durchschnittspreis von 19 Dollar pro Fass zu Grunde. Seit dem Anstieg der Weltmarktpreise streichen die Unternehmen bis zu 13 Millionen Dollar zusätzlich ein - pro Tag.

Korruption und Instabilität sind verantwortlich dafür, dass das Öl mehr Flucht als Segen ist. Die Raffineriekapazitäten sind so unterentwickelt, dass Ecuador drei Viertel aller Derivate aus dem Ausland importieren muss, selbstverständlich zu Weltmarktpreisen. Als Bürger einer Ölnation sind die Ecuadorianer an den Tankstellen aber nicht bereit, ähnlich tief in die Tasche zu greifen wie die Menschen in Europa. Also wendet der Staat Unsummen dafür auf, die teuer eingeführten Treibstoffe zu subventionieren: Mittel, die eigentlich in Gesundheit und Bildung fließen müssten. Bereiche, die am Boden liegen.

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