Großmäuler im Aufwind

29.04.2005

In den Andenländern Südamerikas blüht der Populismus. Der Aufstieg der "starken Männer" zeigt die Kehrseite der schwachen Institutionen.

Ulrich achermann santiago (SN). In Ecuador ist mit dem Sturz von Präsident Lucio Gutierrez das jüngste populistische Experiment gescheitert. Ausgemerzt ist der Populismus damit nicht - in Ecuador so wenig wie im gesamten Andenraum.

Wie weit der neue Präsident Alfredo Palacio und seine Regierung kommen werden, ist noch nicht entschieden. In Ecuador sind die Proteste der Bevölkerung gegen die politische Klasse noch nicht abgeflaut. Und bislang verweigern die USA der neuen Mannschaft in Quito die Anerkennung.

Populisten kommen und gehen - das gehört zum politischen Geschäft in der Region. Die Caudillos und selbst ernannten "starken Männer" sind die Kehrseite schwacher Institutionen.

Als politische Kultur ist der Populismus in ganz Lateinamerika zu Hause, doch in den Andenländern Bolivien, Ecuador und Peru treibt er die wildesten Blüten. Der Populismus sei die Antwort auf Demokratien, die große Bevölkerungsteile ausgrenze - ethnisch, sozial und politisch, sagt der chilenische Politologe Ricardo Israel. "Populismus ist die Form, mit den herrschenden Eliten abzurechnen."

Es gehört zum Kerngeschäft der Populisten, sich als Anwälte der Armen, des verletzten Stolzes, als Botschafter des Wohlstandes und der Chancengleichheit in Szene zu setzten. Dass dabei stets mehr versprochen wird als zuletzt zu halten ist, liegt in der Natur der Sache und ist Bestandteil der chronischen Instabilität in den fragilen Demokratien des Andenraums.

"Je ausgrenzender und widersprüchlicher die Regierungen sind, desto größeren Zulauf bekommen die an die Macht strebenden Populisten", seufzt Politologe Israel. Längst sollten die Lateinamerikaner wissen, dass sie sich mit den Caudillos auf den Holzweg begeben: "Am Ende eines jeden populistischen Experimentes geht es den Leuten noch etwas schlechter als zu Beginn", so fasst Israel die Erfahrungen zusammen.

Dieser Teufelskreis ist nicht einfach zu durchbrechen. Niemand hält es für vordringlich, die dürftige Qualität der Demokratien zu verbessern - weder die nationalen Eliten, noch die lateinamerikanischen Integrationsmechanismen.

Niemand stoppte Lucio Gutierrez, als dieser ihm wohl gesonnene höchste Richter wollte und dafür die Verfassung verletzte. Als daraufhin der Kongress in Quito Gutierrez absägte, wollte sich eben so wenig jemand auf dem Kontinent daran erinnern, dass es im Schoß der "Organisation Amerikanischer Staaten" eine Demokratie-Charta gibt.

Sanktionen für Länder, die den Pfad demokratischer Tugenden verlassen? In der Praxis mag keiner den ersten Stein werfen. In dem an Umstürzen und Palastrevolten reichen Lateinamerika liegen zu viele Leichen im Keller.

Die USA machen es sich bequem Die USA als großer Bruder Lateinamerikas machen es sich bequem. Regierungskrisen und selbst halbe Putsche beunruhigen Washington nicht, so lange die rechtsstaatlichen Institutionen nicht vollends abgeschafft werden. Deshalb passen putschende Militärs nicht mehr in die Landschaft.

Aber die Krisensymptome aus dem Andenraum zeigen auch, dass alle paar Jahre brav wählende Bevölkerungen nicht gleichzusetzen sind mit voll funktionierenden Demokratien. Die Mauern und Wälle, die die regierenden Eliten zum Nachteil der Bevölkerungsmehrheit aufschütten, machen deutlich, wie sehr es den Formaldemokratien Lateinamerikas an Glaubwürdigkeit fehlt.

In der alten Welt gibt es Anschauungsunterricht, wie die Herausforderung zu bewältigen wäre: Ohne die europäische Forderung nach rechtsstaatlicher Substanz und Pluralismus wäre Spaniens Entwicklung in Richtung Demokratie mit Sicherheit nicht so rasant und erfolgreich verlaufen.

� SN

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