Tanz unter dem Vulkan

24.11.2006

 

Ecuador wählt einen neuen Präsidenten. Die Ent- scheidung fällt zwischen einem Bananen-Milliardär und einem Linkspopulisten. Die Wirtschaft stagniert.

walter schwarzQuito (SN). "Vulcano, vulcano." Heftig gestikulierend versucht der junge Mann, flanierende Touristen zu einer Spritztour mit seinem ausgebeulten Pick-up zu bewegen. Für ein paar Dollar. Hinauf zum Tungurahua, der "kleinen Hölle", wie das Quechua-Wort zu übersetzen ist. Drohend hängt die schwarze Rauchwolke über dem 16.000-Seelen-Städtchen Baños im Banne des Fünftausenders. Erst im vergangenen August hat der Tungurahua Feuer und Asche gespien. Die Lavamassen vernichteten drei Dörfer, viele Bewohner von Baños mussten evakuiert werden. Doch mit Gleichmut sind die Menschen in ihre Häuser zurückgekehrt und leben unter dem Vulkan - einer von acht aktiven Feuerbergen Ecuadors. 61 Vulkane zählt das Land insgesamt.

Stets muss das Radio eingeschaltet sein und das Fluchtgepäck parat stehen, denn es kann jederzeit Alarm gegeben werden, hier in Baños. Inbrünstig sind die Gebete in der Basilika vor der Statue der Jungfrau von Baños, der "Nuestra Señora de Agua Santa", üppig ist der Blumenschmuck.

Sieben Präsidenten in zehn Jahren Die Rauchsäule über Baños mag Symbolkraft haben. Im kleinsten Andenstaat mit seinen 13 Millionen Einwohnern brodelt es unter der Oberfläche, können sich jeden Moment die wirtschaftlichen und sozialen Spannungen entladen. Sieben Präsidenten hat das Land in den vergangenen zehn Jahren verschlissen - oder verjagt -, trotz Erdölreichtums im Amazonas-Tiefland stagniert die Wirtschaft. Bis zu einem Viertel der Bevölkerung lebt bereits als Arbeitsmigranten im Ausland, vornehmlich in Spanien oder in den USA. Im Vorjahr haben diese Arbeitsmigranten rund zwei Mrd. US-Dollar an ihre Familien in der Heimat überwiesen. Aufstände indigener Gruppen, Streiks der Erdölarbeiter und Studentenproteste erschütterten bis in die jüngste Vergangenheit das Land. Mehrmals wurde der Ausnahmezustand über Provinzen verhängt.

Und es mag kein Zufall sein, dass am kommenden Sonntag, wenn der zweite und entscheidende Durchgang der Präsidentenwahl über die Bühne geht, zwei Kandidaten aneinander geraten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Alvaro Noboa (57), Milliardär und Bananenplantagenbesitzer sowie deklarierter Fan des früheren US-Präsidenten Ronald Reagan, trifft in der Stichwahl auf den Hoffnungsträger der Linken, Rafael Correa (43). Correa gilt als enger Freund des linksnationalistischen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Im ersten Durchgang vor einem Monat, als nicht weniger als 13 Kandidaten zur Wahl des Staatschefs antraten, erhielt Noboa 26,8 Prozent, Correa 22,8 Prozent der Stimmen.

Vier Tage lang, inklusive des Wahlsonntags, darf im ganzen Land öffentlich kein Alkohol ausgeschenkt werden, und ebenso soll das Tragen von Schusswaffen tunlichst unterlassen werden. So will es die Vorschrift.

Im Wahlkampf versprachen Noboa und Correa der Bevölkerung das Blaue vom Himmel - und schenkten einander nichts. Noboa beschimpfte Correa als "Kommunisten". Dieser revanchierte sich, indem er dem Milliardär vorwarf, auf dessen Bananenplantagen Kinderarbeit zuzulassen. Die ist in den ländlichen Regionen weit verbreitet - ebenso wie in der Macho-Gesellschaft die Unterdrückung der Frau. 23 Prozent der unter 18-jährigen Frauen haben bereits Kinder. Verhütungsmittel, soweit überhaupt erhältlich, sind teuer.

41 Prozent leben unter dem Existenzminimum Noboa verspricht, durch den Bau von 300.000 Wohnungen die marode Wirtschaft anzukurbeln, er will die Mehrwertsteuer und die Abgaben auf Tabak und Alkohol erhöhen und die Einkommensteuer senken. Während Noboa ausländische Investoren ins Land locken will, verlangt Correa höhere Abgaben für ausländische Ölmultis. Die Mindestlöhne sollen verdoppelt, Strom, Wasser und Telefon für die ärmere Bevölkerung merklich verbilligt werden. Mehr als 60 Prozent der Landbevölkerung leben unter dem Existenzminimum, im Landesschnitt sind es 41 Prozent.

Doch wie zum Hohn boomt im Andenstaat derzeit das Neuwagengeschäft. Der Grund: Autofirmen verlangen für Kredite "nur" acht Prozent. Banken wollen 16 Prozent.

© SN

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