Allianz mit den "Latinos"

06.05.2006

Europa und Lateinamerika teilten gemeinsame Werte. Deshalb sollten die beiden Kontinente Allianzen bilden, betont Susanne Gratius, Expertin f�r Lateinamerika.

HELMUT L. M�LLER Interview Zum vierten Mal versammeln sich die Vertreter der EU-Staaten und der L�nder Lateinamerikas zu einem Gipfel. Mit dem Treffen kommende Woche in Wien r�cken die "Latinos" wieder in Europas Blickfeld. Die strategische Partnerschaft zwischen beiden Regionen m�sse mit Leben erf�llt werden, fordert Susanne Gratius, renommierte Lateinamerika-Expertin, in einem SN-Gespr�ch.

Lateinamerika w�hlt links. Ist das der neue Trend? Gratius: Ich glaube, einen solchen Trend gibt es eigentlich nicht. Zumindest handelt es sich um zwei Formen von Linksregierungen: Die einen sind eher sozialdemokratisch ausgerichtet; die anderen sind eher den Nationalpopulisten zuzuordnen. Pr�sident Lula in Brasilien und Michelle Bachelet in Chile machen jedenfalls eine ganz andere Politik als Hugo Chavez in Venezuela oder Evo Morales in Bolivien.

Was sind die Gr�nde f�r diese politische Wendung in Lateinamerika? Gratius: Diesen neuen Regierungen ist gemeinsam, dass sie Sozialprogramme durchsetzen wollen, um die enorme soziale Ungleichheit in Lateinamerika zu �berwinden. Das ist das gr��te Problem der Region. Es gibt kaum eine funktionierende Steuerpolitik. Die politische Elite war bisher nicht bereit, dies in Angriff zu nehmen. Deshalb wird die traditionelle politische Elite in vielen L�ndern jetzt abgew�hlt.

Hinzu kommt, dass die neoliberalen Wirtschaftskonzepte gescheitert sind. Man blickt nicht mehr nach Washington. Lateinamerika sucht jetzt ein neues Wirtschaftsmodell, vor allem eigenst�ndige Entwicklungswege. In Lateinamerika ist Europa nicht mehr so stark pr�sent wie fr�her Bedeutet das, dass sich die L�nder Lateinamerikas politisch und wirtschaftlich von den USA emanzipieren wollen? Gratius: Man muss wirklich differenzieren in der Region. Es gibt sehr unterschiedliche Trends. Mexiko ist ganz eng mit den USA verbunden; es wird von vielen schon als "nordamerikanisches Land" gesehen. Auch Zentralamerika und die karibischen Staaten haben sehr enge Wirtschaftsbeziehungen mit den USA.

Chile hat ein Freihandelsabkommen mit den USA. Aber f�r L�nder wie Bolivien oder Venezuela w�re es undenkbar, ein solches Abkommen zu unterzeichnen. Venezuela versucht, sich von den USA zu emanzipieren. Aber das ist auch mehr Rhetorik als Realit�t. Denn 50 Prozent des venezolanischen �ls gehen weiterhin in die USA.

Aber das Projekt einer gesamtamerikanischen Freihandelszone scheint gescheitert zu sein. Kommen statt dessen Pl�ne einer regionalen Integration in Lateinamerika zum Zuge? Gratius: Ja, die gesamtamerikanische Freihandelszone wird nicht verwirklicht werden. Diese ALCA als Gemeinschaftsprojekt hat meiner Ansicht nach keine Zukunft. Aber man kann sich vorstellen, dass die USA in etwa 20 Jahren mit allen lateinamerikanischen L�ndern bilaterale Abkommen abgeschlossen haben.

Ein gemeinsames lateinamerikanisches Integrationsprojekt ist momentan nicht denkbar. Denn Lateinamerika existiert nicht als politische Einheit. Venezuelas Pr�sident Hugo Chavez m�chte zwar ein von den USA unabh�ngiges lateinamerikanisches Projekt. Aber seinem eigenen Integrationsprojekt ALBA geh�ren bisher nur Kuba und Bolivien an.

Wie sehen Sie die Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika? Gratius: Das gro�e Kapital, das Europa und Lateinamerika haben, sind die gemeinsamen Werte. Demokratie, Menschenrechte und friedliche Konfliktl�sung sind die drei gro�en strategischen Vorteile der zwei Kontinente. Beide Seiten sollten diese Vorteile st�rker n�tzen, um in internationalen Fragen von gemeinsamem Interesse bestimmte Allianzen zu bilden.

Europa ist aber in Lateinamerika nicht mehr so stark pr�sent wie fr�her; und umgekehrt gilt das genauso. Es gibt einen gewissen R�ckzug sowohl von lateinamerikanischer wie von europ�ischer Seite. Lateinamerika ist im Augenblick st�rker auf sich selbst bezogen. F�r die EU ist wegen des eigenen Erweiterungsprozesses wohl Lateinamerika nicht mehr so bedeutend. Immerhin sind die Interessen Spaniens in Lateinamerika eher gr��er als kleiner geworden.

Kann die EU ein Gegengewicht zum Einfluss der USA in Lateinamerika bilden? Gratius: Das ist nicht der Fall. Hauptgrund sind die stagnierenden Verhandlungen �ber ein Assoziationsabkommen zwischen der EU und dem s�damerikanischen Handelsblock Mercosur.

Knapp 60 Delegationen: Das ist eine kleine UNO-Vollversammlung Hinzu kommt, dass jetzt China, wirtschaftlich gesehen, eine wachsende Rolle in Lateinamerika spielt. China ist beispielsweise der zweitgr��te Abnehmer der brasilianischen Exporte. Was bringen die Gipfeltreffen der EU-Staaten und der L�nder Lateinamerikas? Gratius: Der Wert dieser Gipfeltreffen liegt in der gemeinsamen Willenserkl�rung, die beiderseitigen Beziehungen zu vertiefen. Mit Blick auf den Gipfel in Wien hat sich die EU sehr gut vorbereitet. Dagegen ist Lateinamerika in der Pflicht, seine Politik gegen�ber der EU erst zu definieren.

Die strategische Partnerschaft, die man beim ersten Treffen in Rio des Janeiro 1999 angek�ndigt hat, ist noch immer nicht mit Inhalt gef�llt worden. Auch das Treffen in Madrid 2002 hat keine konkreten Ergebnisse gebracht - mit Ausnahme der Ank�ndigung eines Abkommens zwischen Chile und der EU. In Guadalajara 2004 hat man zum ersten Mal versucht, einen thematischen Gipfel abzuhalten - zu Fragen wie Multilateralismus und soziale Koh�sion.

Wien bringt wieder die R�ckkehr zu einem nicht-thematischen Gipfeltreffen, was ich nicht f�r sinnvoll halte.

Man m�sste sich ein neues Format �berlegen. Knapp 60 Delegationen - das ist eine kleine UNO-Vollversammlung. Da ist es doch sinnvoller, sich auf ein Thema zu konzentrieren. Soziale Koh�sion ist ein bedeutendes Thema. Aber dar�ber gibt es weder innerhalb der EU noch in Lateinamerika einen Konsens. Migration dagegen k�nnte ein lohnendes Thema sein. Aber auch ein Dialog �ber Demokratie und ein Dialog �ber Sicherheitsfragen w�ren sinnvoll.

Was sind die gr��ten Probleme im Verh�ltnis zwischen EU und Lateinamerika? Gratius: Die Agrarpolitik der EU ist ein Hindernis. �berhaupt sind es sehr asymmetrische Beziehungen, vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Lateinamerika braucht die EU mehr als die EU Lateinamerika. Lateinamerika hat einen Anteil von 2% am europ�ischen Au�enhandel. Das ist nicht sehr bedeutend. Welche Rolle spielt Lateinamerika damit auf der Weltb�hne? Und wer spricht f�r den Subkontinent? Gratius: Brasilien wird jetzt als neue, aufsteigende Regionalmacht betrachtet, auch im internationalen Kontext. Das Land hat erfolgreich versucht, eine S�d-Allianz ins Leben zu rufen - sowohl innerhalb Lateinamerikas als auch au�erhalb der Region (durch die Zusammenarbeit mit Indien und S�dafrika). Innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) hat Brasilien die "Gruppe der 20" gegr�ndet, um seine Interessen durchzusetzen.

Brasilien hat zwar enge Beziehungen auch zu den USA. Aber es versucht zugleich, sich aus dieser Abh�ngigkeit zu l�sen und einen s�damerikanischen Integrationsprozess voranzutreiben. Brasilien hat sich so in j�ngster Zeit st�rker als Regionalmacht in Lateinamerika profiliert als sein traditioneller Rivale Mexiko.



� SN
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