Frust frisst Demokratie

29.05.2004

Knapp die H�lfte der Lateinamerikaner w�rden der Demokratie keine Tr�ne nachweinen - g�be es nur Arbeit, Einkommen und soziale Gerechtigkeit.

Ulrich Achermann

Lima (SN). Kaum ein Kontinent ist mit Gewaltherrschern und Diktaturen schlechter gefahren als Lateinamerika. Erst in den 80er Jahren haben diese Regimes der Demokratie Platz gemacht. Doch die H�lfte der Lateinamerikaner steht in einem schwankenden Verh�ltnis zu ihr. Das Demokratie-Barometer, das der Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen (PNUD) zusammenstellt, bringt nachdenklich stimmende Ergebnisse zum Vorschein.

Knapp die H�lfte der Befragten aus 18 L�ndern w�rden ein undemokratisches System unterst�tzen - falls es sich vornimmt, die grunds�tzlichsten individuellen Probleme schnell zu �berwinden. 48 Prozent der Menschen ziehen wirtschaftliche Entwicklung der Demokratie vor. In �hnlicher Proportion sind die Latinos daf�r, dass sich ein gew�hlter Staatspr�sident in gewissen F�llen �ber Parlament und Gesetz hinwegsetzen k�nnen sollte.

Dabei ist das demokratische Bewusstsein der Lateinamerikaner nicht weniger ausgepr�gt entwickelt als in anderen Gesellschaften. Die vom PNUD ermittelten Werte haben in erster Linie damit zu tun, dass die demokratischen Regierungen bei der Bew�ltigung der Grundprobleme der Bev�lkerung scheitern: Arbeit, Einkommen, Dach �ber dem Kopf.

Sieht man von Ausnahmen wie Chile und Costa Rica ab, bleibt das Scheitern vor dieser Herausforderung der gemeinsame Nenner Lateinamerikas. Wirtschaftliche Expansion allein garantiert noch keine Entwicklung an der Basis der Gesellschaft. Jedenfalls so lange nicht, als Einkommen und Reichtum nicht gerechter verteilt werden. Und damit zeigt sich auch: Die zum Teil jahrhundertealten, ungerechten Gesellschaftsstrukturen zaubern auch Demokratien nicht weg, jedenfalls nicht �ber Nacht.BeachtlicheFortschritte Doch gibt es durchaus Fortschritte. Vor drei Jahrzehnten, als PNUD den Stimmungsbarometer erstmals erstellte, waren nur drei der 18 relevanten L�nder Demokratien: Costa Rica, Kolumbien und Venezuela. Im Rest schwangen entweder Milit�rdiktaturen das Zepter oder es herrschten pseudodemokratische Zust�nde wie in Mexiko unter der Staatspartei der "Institutionalisierten Revolution".

Heute ist Lateinamerika bis auf Kuba demokratisch regiert. Frauen und indigene Minderheiten haben praktisch �berall uneingeschr�nktes Stimm- und Wahlrecht erlangt. Die Notwendigkeit einer unabh�ngigen Justiz wird nicht l�nger bestritten. Auch die Medienfreiheit ist in den meisten L�ndern Lateinamerikas garantiert.

Und doch fehlt es den Demokratien Lateinamerikas an Substanz. Ein Modell, das die H�lfte oder zwei Drittel der B�rger permanent von Bildung, Besch�ftigung und Wohlstand ausschlie�t, blo� weil sie etwa indigenen Ursprungs sind, wird auf die Dauer nicht funktionieren k�nnen. Im Prinzip best�tigt sich die l�ngst legend�re Schw�che Lateinamerikas, ein erfolgreiches und nachhaltiges Modell zu seiner wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu entwickeln.

Peru ist ein gutes Beispiel, um das Zusammenspiel der Kr�fte und seine Ergebnisse zu interpretieren. Regierung und Justiz haben einen denkbar schlechten Ruf; sie gelten als ineffizient und korrupt. Pr�sident Alejandro Toledo, im Jahr 2000 mit dem Versprechen gew�hlt, dem Rechtsstaat Leben einzuhauchen, st��t derzeit auf massivste Ablehnung. Im Jahrzehnt zuvor war der autorit�re Rechtspopulist Alberto Fujimori am Ruder. Er punktete mit dem vielen vom Verkauf der Staatsunternehmen stammenden Geld. Das Bild Fujimoris, der Traktoren an Bauern verteilt, der Schulen einweiht und Br�cken, geistert als Ideal noch heute in vielen K�pfen. Aber Fujimoris Deregulierung der Wirtschaft st�rzte Peru in eine Existenzkrise. Heute ist die Armut und die Zahl der Armen in Peru drei Mal so hoch wie 1985.

 

� SN

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